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Ansprache zur Verabschiedung am 1. Advent 2022

Liebe Gemeinde!

Jetzt ist er da, der Advent. Und mit ihm die schönen Gebräuche.
Dazu gehört, na klar, das Plätzchen backen.
Ich fange mit Vanillekipferln an. Denn sie müssen lange ruhen und in der Dose liegen, damit sie ihr Aroma entfalten. Am besten sollten sie bis Weihnachten liegen. Denn dann ist dieser feine Vanillegeschmack ganz in sie hinein gezogen. Und die zarte Süße ist wunderbar zu schmecken.
Allerdings, ich gebe es zu, das mit dem Warten bis auf Weihnachten klappt nicht immer. Die Ungeduld ist einfach zu groß.
Vielleicht passen deshalb die Kipferln für mich so gut in den Advent. Ist die Adventszeit doch die Zeit der Einstimmung auf Weihnachten: Zeit des Wartens. Und damit verbunden diese Momente von Ungeduld: Hach, das dauert mir alles viel zu lange.
Advent, diese Einstimmung auf Weihnachten hin, wo uns gesagt wird: „Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, sanftmütig und reitet auf einem Esel, dem Jungen einer Eselin.“
Was für eine großartige Aussicht. Da kommt der Retter, der Helfer, der Gerechte; einer, der alle Wunden heilt.
Sehnsuchtsvoll, aber auch freudig dürfen wir in die Zukunft schauen und nur Gutes von ihr erwarten. Er kommt. Der Gerechte und der Helfer.
Im gleichen Atemzug allerdings ist die Ohnmacht spüren.
Weil es zwar schön klingt, das mit der Sanftmut und dem Friedensbringer. Weil es aber auch wie vom fremden Stern zu sein scheint und von unserer Wirklichkeit überholt, ja überrannt wird.
Gerade heute. In diesen Zeiten, wo der Krieg so fühlbar nahe ist. Wo wir seine Folgen spüren. Wo wir merken, es gibt für uns keine Insel der Glückseligkeit.
Wo wir Ohnmacht sogar im Gebet spüren, mit diesen dringlichen Wünschen, Gott möge doch wehren. Und nichts passiert.
Dazu der der Zweifel, ob das überhaupt eine Option ist. Gewaltlos. Und wir uns sogar lächerlich machen, wenn wir daran festhalten, und auf ihn setzen, diesen Friedensbringer, der sanftmütig ist und auf dem Jungen einer Eselin reitet.
Jedes Jahr, und jedes Jahr von Neuem, setzen wir uns besonders in der Adventszeit damit auseinander.
Wir holen den Wunsch nach diesem Frieden hinein in unsere Herzen. Wir geben der Sehnsucht Raum. Wir zelebrieren dieses erwartungsvolle Hoffen mit Adventskranz und vier Kerzen.
Erst die eine, warten. Dann die nächste. Und wieder warten, bis die 3. Kerze brennt, und irgendwann die 4.
Dabei könnten wir ein ganzes Lichtermeer haben. Das so viel schöner ist als diese Funzeln, zumal bei der einen der Docht ständig im Wachs abzusaufen droht.
Darum ist die Adventszeit nicht nur besinnlich, sondern zugleich von Spannung bestimmt.
Auch im tieferen Sinn.
Wir können und wollen angesichts unserer Wirklichkeit kaum noch von jenem König reden - und halten trotzdem an der Botschaft fest. Vertrauen darauf, dass ER kommt, im Namen des Herrn, der Gerechte und der Helfer. Der das Friedensreich baut, das kein Ende hat.
Und allen Fragen und aller Ungeduld zum Trotz wollen wir etwas von der Freude spüren, die von dieser Verheißung ausgeht. Wir wollen diese Vorfreude erleben, die genährt wird von dem, was sein wird.
So also nach vorne schauen, mit dieser Hoffnung in unseren Herzen und in unserem Denken, dass ER kommt, und den Erdkreis regieren wird mit Sanftmut und Gerechtigkeit und diese, unsere Welt, sich verändert hin zum Guten.
Ja, diesen Verheißungsworten zujubeln, so wie die Menschen Jesus zugejubelt haben bei seinem Einzug nach Jerusalem.
Als er am Esel saß und die Menschen und die Menschen ihre Kleider auf den Weg legten, ihre Mäntel. Zweige von den Bäumen hieben und sie ausbreiteten, auf diesem, seinem Weg.
Diese Worte der Verheißung also weiter tragen, ihnen unsere Mäntel wie einen Teppich zu Füßen legen, laufen und nicht aufhören, Teil dieses Weges der Botschaft zu sein – hin bis zu ihrer Erfüllung. ….
Darum geht es.
Und so empfinde ich es auch. Dass wir als Gemeinde, als Gemeinschaft, als Christen wie diese Menschen auf dem Weg sind, von denen wir im Evangelium gehört haben.
Es ist eine Wegstrecke, die über Jahre und Jahrzehnte geht, ja über Generationen hinweg.
Wenn ich heute zurück denke, an meine vielen Berufsjahre, an mein Studium, an meine Ausbildung und ganz besonders auch an meine Zeit hier in Sand, dann kann ich mich durchaus so verstehen.
Wie eine von denen, die mitgingen bei Jesu Weg nach Jerusalem.
Ein Stück mit Ihnen und euch unterwegs. Am Wegesrand. Irgendwo in der Mitte etwas vom Evangelium. Mal ganz nah, greifbar, spürbar. So nah, wie zum Anfassen.
Dann wieder auf der Suche. Was bewegt uns? Was treibt uns?
Was können wir machen, dass die Verheißung Menschen erreicht? Haben wir es überhaupt in der Hand?
Und wir haben uns was einfallen lassen, waren einfallsreich wie die Menschen vor Jerusalem, die Mäntel und Zweige zu einem roten Teppich werden ließen.
Ich kann nicht alles aufzählen.
Nur ein paar Dinge will ich streifen.
Wir haben die Kirche neu gestaltet, haben einen Raum geschaffen, in dem das Evangelium in anderen, neuen Formen erklingt. Wo auch Kirchenferne etwas für sich mitnehmen können.
Wir das Frauenfrühstück angefangen, hatten den Adventsbazar, haben mit vielen Jugendlichen für hunderte von Konfirmanden Konficamps gemacht. Hören die Posaunen vor der Kirche und an vielen Stellen im Ort.
Wir haben ganz viel Musik, vertraute und neue Orgelklänge, hören und singen die vielen schönen Lieder aus unseren Gesangbüchern.
Wir singen und erzählen Kindern in Kindergottesdienst und in den Kitas von Gottes Liebe.
Ein Förderkreis setzt eigene Akzente.
Vikarinnen haben in unseren Gemeinden gelernt und sich eingebracht.
Da war gewiss manche Erschöpfung zu spüren. Weil einem auf dem Weg die Puste ausgehen kann.
Und trotzdem war und ist es gut, Gemeinschaft zu haben. Auch, um sich gegenseitig anzuspornen, diesen Weg weiter zugehen. Besonders wenn andere aussteigen. Dennoch mit einander der Verheißung Gottes den Weg bereiten.
Und in dieser Gemeinschaft sich der Gegenwart Gottes vergewissern. Gottesdienste feiern. Taufen, Trauungen, Beerdigungen. Oder so wie heute.
Egal zu welchem Anlass, ober traurig oder schön, leise spüren, dass wir von Gott geführt werden.
Ich denke, wir sind solche, die mitgehen auf Jesu Weg nach Jerusalem. Die dabei ganz viel Spaß und Freude haben, als wäre seine Ankunft greifbar nahe, „Hosinanna in der Höhe“. 
Und die sich sehr wohl bewusst sind: das Volk der Glaubenden ist ein Volk der Wartenden. Der Hoffenden. Ein Volk der Geduldigen.
Und genau das, liebe Gemeinde, zelebrieren und feiern wir im Advent. Dass wir auf dem Weg sind, getragen und beflügelt von der Verheißung.
Es ist noch nicht, aber es wird.
ER Kommt. Sanftmütig. Mit Frieden für die ganze Welt.
Heute, liebe Gemeinde, ist das meine letzte Predigt von dieser Kanzel aus. Es beginnt für mich ein neuer Lebensabschnitt. Durchaus mit Herzklopfen.
Und auch für Sie und euch hier kommt jemand Neues. Wo ihr ein bisschen mit Spannung schaut.
Unterschiedlich und doch erwartungsfroh sind wir auch da unterwegs. Und in allem, was kommt, angesteckt von dieser Vorfreude, dass sein Friede irgendwann alles zum Guten wendet.
Das hilft in Momenten von Ungeduld und Zweifel. Die Aussicht auf das Gute lässt uns damit fertig werden.
Ich mache es für mich an den Vanillekipferln fest.
Bald gebacken werden sie ruhen – hoffentlich bis Weihnachten. Jedenfalls freue mich jetzt schon auf den Moment, wo ich die Dose öffne, sie weiß gepudert vor mir sehe, sie rieche und dann mit dieser leichten Süße und dem Geschmack von Vanille und Mandeln genussvoll verspeise. Amen.

Herzlichst Ihre Pfarrerin Dr. Gisela Natt